Katholische Jugend

 

"Ja zur Aufnahme der Türkei ist Glaubwürdigkeitsfrage für EU"

Deutscher Wirtschaftsexperte Franz-Josef Radermacher plädiert bei Landwirtschafts-Symposion des Mitteleuropäischen Katholikentags für fairen Ausgleich "zwischen christlichen Regionen und einer muslimischen Region" (Kathpress, 17.5.04)

Wenn die EU glaubwürdig für fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich im Sinne der christliche Soziallehre sowie für die Bekämpfung der tieferen Ursachen im neu aufgelegten Konflikt zwischen Westen und Islam eintreten will, dann muss sie die Türkei aufnehmen. Das betonte der deutsche Wirtschaftsexperte Franz-Josef Radermacher beim Landwirtschafts-Symposion des Mitteleuropäischen Katholikentags am Wochenende in Warschau.

Die EU sei schließlich auch als Gegenmodell zum herrschenden Modell der "marktfundamentalistischen Globalisierung" angelegt, so Radermacher. Denn der Grundgedanke hinter der EU-Erweiterung sei, dass "ein reicherer Teil nach und nach ärmere Teile integriert", indem er Kofinanzierungen leiste. Dadurch könne der ärmere Teil höhere Wachstumsraten erreichen, sodaß er innerhalb von ungefähr 20 Jahren an das Niveau des reicheren Teils herankomme.

Das marktfundamentalistische Modell, das etwa von der Weltwirtschaftorganisation WTO, der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) oder der "Freihandelszone der beiden Amerikas" (ALCA) verfolgt werde, setze auf völlige Liberalisierung und damit das "Recht des Stärkeren", erklärte Radermacher. Doch "das funktioniert nicht".

Das solidarische EU-Modell mit Kofinanzierung hingegen habe sich insgesamt bewährt, sagte der in Ulm lehrende Wissenschaftler der auch in den Entscheidungsgremien des "Ökosozialen Forums", des "Club of
Rome" und des "Engergy Globe Award" sitzt. Jetzt gehe es darum, modellhaft vorzuzeigen, dass das europäische Gegenmodell global funktioniere - auch bei der Integration eines heute muslimischen Landes. Vor dem Hintergrund des von den USA durch den Irakkrieg schwerst in Mitleidenschaft gezogenen Dialogs Westen-Islam müsse bewiesen werden, dass "zwischen christlichen Regionen und einer muslimischen Region ein fairer Ausgleich möglich ist", so Radermacher. Wörtlich erklärte er: "Ich würde mir auch eine leichtere Aufgabe wünschen. Aber wir sind nun einmal mit einer Bitte konfrontiert. Und da kann es für mich nur eine Antwort geben: Ja".

Die ökosoziale Marktwirtschaft ist für den deutschen Experten die einzige Alternative zu den Systemen des Kommunismus und der "Marktwirtschaft ohne Adjektive". Beide würden "der Komplexität des Menschen nicht gerecht".

Im Rahmen des Katholikentags-Symposions erläuterte der polnische Referatsbischof für den ländlichen Raum, Weihbischof Jan Styrna, dass sich Heilssuche immer mit dem Alltag der Menschen verbinden müsse. Im ländlichen Raum gehe es konkret um Familie, Kulturerbe, Umwelt und Landschaftspflege. "Aus Bauern werden jetzt auf einmal Unternehmer", umriss Styrna das Problem der strukturellen Reformen.

Von den Menschen des ländlichen Raums erhoffe die Kirche Unterstützung für den Schutz des Sonntags, sagte Styrna. Bindung an Grund und Boden, Solidarität und Patriotismus bildeten trotz der verstärkten Abwanderung in die Städte einen "großen Schatz, auf den wir achten sollten".

Prof. Piotr Stypinsky von der Warschauer Landwirtschaftakademie wies auf die derzeit sehr hohe Zahl von 2,16 Millionen polnischen Höfen hin: "300.000 bis 400.000 werden überleben können. Die anderen nicht". Es bestehe im Hinblick auf die Förderungen der EU vielfach das Gefühl, wie ein armer Neffe agieren zu müssen, der dem Onkel gegenüber bettelnd die Hand ausstrecke, formulierte Stypinsky die
vielfach bestehenden Ängste und Vorbehalte.

Weiters müsse der Getreideanbau unbedingt gesenkt werden: "Wir vergessen die vielen anderen Anbaumöglichkeiten. Das wird fast zur Monokultur". Vielfach werde auch ein Massenaufkauf des Grunds und Bodens durch ausländische Unternehmer befürchtet.

Das Problem der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der Nahrungsmittel-Veredelungsindustrie in den neuen EU-Mitgliedsländern, sprach der agrarpolitische Berater im Kabinett von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der deutsche Experte Rudolf Strohmeier, an. Wie Strohmeier sagte, könne "ein Großteil der rund 10.000 Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie" in den zehn neuen Mitgliedsländern am Binnenmarkt nicht bestehen. Für die EU-Kommission stelle sich deshalb die Aufgabe, den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereich zu stärken. Das sei notwendig, um die Agrarproduktion und den Landwirten wirksam zu helfen.

Strohmeier wies auch die irrige Meinung zurück, die EU-Landwirte würden nach dem Plan von EU-Agrarkommissar Franz Fischler "mit Direktzahlungen für Nichtstun entlohnt". Dies unterstelle, dass jeder Landwirt "'seine' hundertprozentige Direktzahlung erhalten" werde. Diese erhalte jedoch nur, wer auch Leistungen im Bereich Umwelt, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit erbringe. Damit werde erstmals EU-weit auch "gute fachliche Praxis" prämiiert. Dies sei absolut fair, weil es einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Landwirtschaft in anderen Erdteilen kompensiere. "Denken wir nur an die Monokulturen in Nordamerika und das Abbrennen des Regenwalds in Lateinamerika", so
Strohmeier.

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