Katholischer Laienrat

 

Christliche Werte bleiben "Richtschnur Europas"

Symposion des Mitteleuropäischen Katholikentages in Budapest - Ungarns Staatspräsident Madl: Politik braucht Orientierungen, die über Sachaspekte hinaus gehen - Unterschiedliche Einschätzung der
Bedeutung eines Gottesbezuges in der EU-Verfassung (Kathpress, 30.9.03)

Christliche Werte sollen nach den Worten des ungarischen Staatspräsidenten Ferenc Madl auch in Zukunft für die Politik der Europäischen Union eine bedeutende Richtschnur sein. Die gemeinsame Wurzel der heutigen europäischen Völker sei das Christentum, und es sei auch in Zukunft ein "wichtiger Baustein Europas", betonte Madl in einem Grußwort an die Teilnehmer eines Symposions zum hema "Christliche Werte in der Europäischen Union", das von Sonntag bis Dienstag in der ungarischen Hauptstadt Budapest stattfand. Die Tagung war das erste von acht internationalen Symposien des itteleuropäischen Katholikentages zu pastoralen und gesellschaftspolitischen Fragen.

Die alltägliche Diplomatie und Politik bräuchten Orientierungen, die über Sachaspekte hinaus gehen. Madl wies darauf hin, dass die Seligsprechung des "Arztes der Armen" Laszlo Batthyany-Strattmann (1870-1931) im März dieses Jahres "in Ungarn begeistert aufgenommen wurde". Das zeige, wie groß das Bedürfnis nach Werten wie Solidarität und Zuwendung zu den Armen sei. Europa sollte wieder "die Kraft des Glaubens und des Dienstes" entdecken, meinte der Staatspräsident und erinnerte an das Wort Papst Johannes Pauls II. bei seinem ersten Besuch in Ungarn 1991, wonach "die Kirche ein Ort des Dienstes ist".

Unterschiedlich eingeschätzt wurde bei der Tagung die Bedeutung, die ein Gottesbezug ("Invocatio Dei") und die Erwähnung der jüdisch-christlichen Wurzeln Europas in der Präambel der künftigen EU-Verfassung hätten. Der Apostolische Nuntius in Polen, Erzbischof Juliusz Janusz, erklärte, die Nennung des jüdisch-christlichen Erbes würde "der historischen Wahrheit entsprechen". Zudem seien 80 Prozent der heutigen Europäer Christen. Daher setze sich auch Papst Johannes Paul II. stark für einen Verweis auf das christliche Erbe in der künftigen EU-Verfassung ein.

Die starke Opposition gegen eine Erwähnung in der Präambel sei unverständlich und offensichtlich von einem "ideologischen Laizismus" geleitet, so der Nuntius. Er wies entschieden den Vorwurf zurück, die Kirche strebe die Rückkehr zu "konfessionellen" Staaten an; auch würde eine solche Erwähnung keineswegs andere Religionen beleidigen.
Einschränkend meinte Janusz, der Verweis auf die christlichen Wurzeln Europas in der Präambel dürfe nicht zu einer Änderung der Artikel 51 - der so genannten "Kirchenklausel" - in der künftigen EU-Verfassung führen. Zudem erlange der Hinweis nur dann Bedeutung, "wenn die Gläubigen ihren Glauben leben und beachten".

Jozsef Szajer, ungarischer Parlamentsabgeordneter und Mitglied des Konvents zur Ausarbeitung der EU-Verfassung, bedauerte, dass in den Entwurf kein Gottesbezug aufgenommen wurde. Eine "Invocatio Dei" würde der Verfassung Grundlagen geben, "die über die Welt und den Tag hinausreichen". Und jene Völker, die den Kommunismus erlebt haben, hätten einen Hinweis auf das christliche Erbe als wichtige Klammer empfunden. Stattdessen werde nun nur das "religiöse" Erbe Europas erwähnt; allerdings würden die meisten Europäer damit ohnehin das Christentum verbinden, so Szajer.

Der österreichische Diplomat Michael Weninger, politischer Berater von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi für den Dialog mit den Religionsgemeinschaften, zeigte sich dementgegen froh, dass es in der Präambel keinen Bezug auf Gott geben soll. In die Präambel sei alles hineingepackt worden, wozu man im Verfassungstext selbst nicht mehr kam; sie sei "textlich wie inhaltlich verunglückt". "Es ist gut, dass Gott dort nicht vorkommt", so Weninger. Dagegen hätte man das christliche Erbe Europas durchaus "beim Namen nennen können" und nicht hinter dem Ausdruck "religiöses" Erbe verstecken müssen.

Viel wichtiger als der Präambeltext sei jedoch die Tatsache, dass die Verfassung selbst eine Reihe christlicher Werte enthalte bzw. widerspiegle, so der Botschafter. Besonders erwähnte er die Kirchenklausel, mit der sich die EU verpflichte, einen offenen, transparenten und permanenten Dialog mit den Religionsgemeinschaften zu pflegen.

Auch der österreichische Politologe Prof. Heinrich Schneider misst einem Gottesbezug in der Verfassung relative Bedeutung bei: "800 Jahre lange ist jeder Friedensvertrag in Europa eingeleitet worden mit den Worten 'Im Namen der einen und allerheiligsten Dreifaltigkeit', und 'Dieser Frieden soll ewig währen'. Hat diese Formel in diesen 800 Jahren den Krieg verhindert?"

Mehr Anlass zur Sorge gibt laut Schneider die zunehmende Schwierigkeit der Kirchen und der Christen, ihre moralischen Prinzipien und Normen so plausibel zu machen, dass sie als allgemein verbindlich einleuchten können. Manchmal löse der Versuch, sie entschieden zu vertreten, Kopfschütteln oder gar Empörung aus, etwa in der Frage der Abtreibung, der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe, der aktiven Euthanasie oder der Nutzbarmachung menschlicher Embryonen. Es stelle sich die Frage, ob sich die Christen ihre Position in der Gesellschaft und ihren Anspruch auf die Prägung der Kultur und des öffentlichen Leben nicht manchmal zu bequem vorstellen, so der Politologe.

Bedenken äußerte Schneider gegen der allzu unbedachten Rede von "christlichen Werten". Der Ausdruck "Wert" stamme aus der Wirtschaft, er sei später von Philosophen und dann von Sozialwissenschaftlern übernommen worden. "Werte" zeigten aber immer "relative Größen" an, im Vergleich zu einander oder für jemanden. Der Begriff enthalte daher bereits in sich eine "Absage an die Idee unverfügbarer Wahrheiten", warnte der Wissenschaftler. Werden Prinzipien, Glaubensinhalte, Gewissensüberzeugungen oder Weltbilder als "Werte" oder "Wertsysteme" betrachtet, dann sind sie mit anderen bewertbaren Dingen vergleichbar "und sozusagen vermarktbar".

Der deutsche Theologe und EU-Experte Peter Bender meinte zu der Debatte um die Präambel, ob Europa christlich sei, entscheide sich nicht in Verfassungstexten, sondern "in den Köpfen und Herzen der Menschen". Die Christen blieben selbst verantwortlich für das Zeugnis des Glaubens und ein in europäischer Dimension gelebtes Christentum. Die Kirchen müssten sich selbst noch stärker "europäisieren" und miteinander ins Gespräch treten. Die EU sei nicht Europa, sie setze aber wichtige Prozesse und Debatten um die europäische Identität in Gang.

Der ungarische Primas und neu ernannte Kardinal Peter Erdö, Erzbischof von Esztergom-Budapest, wies darauf hin, dass Werte und moralisches Bewusstsein stets Ausdruck einer Weltanschauung seien.
Werte könnten daher nicht vom Staat geschaffen oder vorgegeben werden, sondern sie seien Ausdruck der Überzeugungen seiner Bürger. Europa habe daher keine "eigenen, spezifischen Werte"; seine Werte kämen vor allem aus der jüdisch-christlichen Tradition, und sie seien "auch in Amerika und in Russland zu finden".

Gewissens- und Religionsfreiheit ermöglichten, dass die "objektive Wahrheit über Gott und die Welt frei gesucht werden kann", so Erdö weiter. Ziel sei aber, die Wahrheit und objektive Werte zu finden, und nicht eine "Vielfalt der Wert-losigkeit und Subjektivität". Erdö sieht eine Tendenz, dass sich die heute staatlich geschützten Werte zunehmend von der Naturrechtslehre und noch mehr vom Christentum entfernen, etwa beim Lebensschutz. Damit entziehe sich Europa seine eigene Grundlage.

Der Vorsitzende der Ungarischen Bischofskonferenz, Erzbischof Istvan Seregely von Eger, betonte, der zentrale Grundwert müsse das menschliche Leben sein und bleiben. Leben erhalten beinhalte auch, Bedingungen zu schaffen, in denen in der Familie das Leben weitergegeben werden kann; es bedeute die Bereitschaft, ein auch teures Gesundheitssystem zu tragen und die Existenz der nächsten Generation zu sichern. Dieser Wert der Lebens- und Zukunftssicherung könne aber nur in Gemeinschaft erbracht werden, so Seregely.

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