Arge Pastoral- und Seelsorgeämter

 
Wir fühlen uns übergangen

Der Frieden im Land hat kein festes Fundament. Zur Lage der Christen vor dem Besuch des Papstes in Banja Luka. Kardinal Puljic im Gespräch, im Rheinischen Merkur Online, Nr. 25, 19.06.2003

RHEINISCHER MERKUR: Wie ist die Situation in Bosnien-Herzegowina acht Jahre nach Dayton?

VINKO KARDINAL PULJIC: Wir haben einige positive Schritte gemacht. Es gibt Bewegungsfreiheit im ganzen Land. Aber höchst enttäuschend läuft die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre früheren Siedlungen und die Entwicklung der Wirtschaft.

[INLINE] Wie viele Katholiken leben jetzt in Sarajevo und in Bosnien-Herzegowina, und wie viele waren es vor dem Krieg?

1991 lebten ungefähr 830 000 Katholiken in den vier Diözesen Bosnien-Herzegowinas, jetzt sind es nur noch etwa 500 000. Das haben die ethnischen Säuberungen bewirkt. In meiner Diözese gab es 1991 rund 528 000 Katholiken, jetzt etwa 200 000. Die Zahl der Katholiken in den zehn Gemeinden Sarajevos hat sich auf 18 000 halbiert.

[INLINE] Gibt es ein freies religiöses Leben für die Christen in Bosnien-Herzegowina?

Christen haben in der Tat politische Freiheit, aber in den verschiedenen Teilen unseres Landes haben wir nicht die vollen Rechte. In der Republica Srpska etwa haben Nichtserben und nicht orthodoxe Bürger keine Chance, eine Stelle zu bekommen in diesem ruinierten Land mit Zehntausenden von Arbeitslosen.

[INLINE] Haben Sie kirchliches Eigentum und Kirchen zurückbekommen?

Sehr wenige Gebäude auf dem Territorium der Föderation Bosnien-Herzegowina sind uns zurückgegeben worden im Vorgriff auf ein neues kommendes Gesetz. Inzwischen sind auf unseren Grundstücken neue Institutionen von anderen eröffnet worden, und viele unserer früheren Gebäude sind zerstört. Wir haben deutlich Probleme mit den zivilen Behörden in der Republica Srpska, wenn wir unsere Forderung nach Wiederaufbau von Kirchen und anderen kirchlichen Gebäude unterbreiten, die von serbischem Militär 1991 bis 1995 zerstört worden sind.

[INLINE] Wie hoch ist der Anteil von Katholiken in der Regierung?

In den obersten Staatsstrukturen wird der proportionale Anteil der Katholiken einigermaßen gerecht berücksichtigt, aber auf allen Verwaltungsebenen darunter entscheiden die jeweiligen ethnischen Mehrheiten für sich.

[INLINE] Ist katholischer Religionsunterricht in Schulen heute möglich?

Im Grundsatz ja, seit 1992. Aber wir Katholiken sind nur dort präsent, wo wir eine genügende Anzahl von katholischen Schülern haben, etwa in Mostar. Aber nicht in Sarajevo, weil katholische Schüler hier zerstreut wohnen. In diesem Fall versuchen wir, Religionsunterricht auf den Gemeindeebenen zu erteilen. Das war schon unter dem kommunistischen Regime so. Einige der Experten der OSZE wollen den konfessionell gebundenen Religionsunterricht abschaffen, aber alle religiösen Führer möchten beim Status quo bleiben.

[INLINE] Steigt die Zahl von Moscheen in Ihrem Lande an?

Ja, sehr viele und überaus prachtvolle Moscheen sind gebaut worden, viele an Orten und auf Plätzen, an denen es vorher nie eine gegeben hat. Ich weiß, dass die bosnischen Muslime solche großartigen Moscheen gar nicht selber finanzieren können. Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten werden immer wieder die Länder Saudi-Arabien, Malaysia oder andere muslimische Staaten als Spender erwähnt.

[INLINE] Helfen auch fundamentalistische muslimische Staaten oder Gruppen den Muslimen in Bosnien-Herzegowina?

Die Zahl junger Wahhabiten steigt. Auch einige humanitäre Organisationen aus muslimischen Staaten übertragen mit ihrer finanziellen Hilfe den Wahhabismus hierher. Auf Druck der USA sind einige ihrer Büros geschlossen worden, aber Präsenz und Einfluss des Wahhabismus sind keineswegs geschwächt.

[INLINE] Wie finanzieren Sie die Pflichten und Aufgaben der Kirche heute?

Wir sind auf Spenden für unsere seelsorgerischen Aktivitäten angewiesen. Wir haben keine stabilen Ressourcen mehr und können unser Budget nicht planen. Außerordentliche Ausgaben und größere Projekte sind völlig von ausländischen Spendern abhängig. Die Deutsche Bischofskonferenz unterstützt uns über Renovabis und Kirche in Not. Das gilt auch für die Caritas und viele andere Organisationen in Deutschland und Österreich.

[INLINE] Ist der eingesetzte Hohe Kommissar hilfreich für Kirche und Land?

Wir brauchen weiterhin politische und militärische Hilfe für Frieden und Wiederaufbau in unserem Land. In diesem Sinne macht der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft eine gute Arbeit, aber die ausländischen Offiziellen begehen viele Fehler und Irrtümer. Und sie mögen offensichtlich die Kritik religiöser Repräsentanten nicht.

[INLINE] Glauben Sie, dass Katholiken, Orthodoxe und Muslime jemals wieder zusammenleben können?

Alle drei Gruppen hier möchten ihre ethnische und religiöse Identität bewahren und eine neue Zivilgesellschaft aufbauen, die uns die Grundrechte und Grundpflichten zum Leben ermöglicht. Das wird besonders dann möglich sein, wenn Bosnien-Herzegowina allmählich in ein demokratisches und pluralistisches Europa integriert werden wird.

[INLINE] Was erhoffen Sie sich vom Besuch des Heiligen Vaters in Banja Luka?

Zunächst freue ich mich, dass die Pastoralvisite des Papstes auch in unseren Straßen mit Plakaten öffentlich angekündigt wird. Johannes Paul möge unsere Herzen erwecken und uns positive Energie bringen, damit wir eine tolerante, demokratische und eine gut gedeihende Gesellschaft aufbauen können. Wir brauchen wieder die Aufmerksamkeit europäischer Staaten und Investoren, denn wir fühlen uns vergessen, vernachlässigt und übergangen.

[INLINE] Welche spezifischen Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Ich wünsche mir mehr Interesse und Klugheit in der Frage von Bosnien-Herzegowina. Ohne mehr Investitionen und tatsächliche Hilfe können wir hier kein stabiles prosperierendes und demokratisches Land aufbauen. Wir sehen unsere Zukunft in einem vereinten Europa, das allen seinen Mitgliedern erlaubt, ihre Identität zu bewahren und sich um die gemeinsamen Notwendigkeiten zu kümmern.

Vinko Kardinal Puljic ist Erzbischof von Sarajevo. Das Interview führte Peter Meier-Bergfeld.
www.merkur.de

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