Erzdiözese Wien

 
Wallfahrt der Völker

In Wien beginnt ein "Mitteleuropäischer Katholikentag" / Von Reinhard Olt
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 10.06.2003

WIEN, 9. Juni. Ein Kirchentag anderer Art nimmt an diesem Dienstag von Wien seinen Ausgang. Unter dem Motto "Christus - Hoffnung Europas" steht ein vom Erzbischof von Wien, Kardinal Schönborn, und seinem Vorvorgänger König gemeinsam zelebrierter Vespergottesdienst, mit dem der "Mitteleuropäische Katholikentag" beginnt. Konzelebranten in diesem symbolhaften "neuen Miteinander" sind alle österreichischen Bischöfe, zudem die Abgesandten der Bischofskonferenzen aus sieben benachbarten Staaten. Diese "Europa-Vesper" ist Auftakt für einen Begegnungsreigen, der sich über ein Jahr hin erstreckt und in Summe diesen Mitteleuropäischen Katholikentag (MEKT) insgesamt ausmacht.
Abschluß und Höhepunkt zugleich bildet am 22. und 23. Mai 2004 eine "Wallfahrt der Völker" zur Magna Mater Austriae nach Mariazell in der Steiermark - historische Reminiszenz am bedeutendsten Wallfahrtsort weiland der Habsburgermonarchie -, zu der auch Papst Johannes Paul II. sein Kommen zugesagt hat.

Tatsächlich geht der MEKT auf Anregungen des Oberhaupts der katholischen Kirche zurück. Schon 1983 hatte der Papst auf dem Heldenplatz in Wien die Christen an ihre gemeinsame Verantwortung für Europa erinnert. Dieser erste von bisher drei Pastoralbesuchen fand damals im Rahmen eines österreichischen Katholikentags statt. 1998, während seines dritten Besuchs, erinnerte der Papst an die "Brückenfunktion Österreichs im Herzen Europas". Die Österreicher luden die Bischofskonferenzen jener benachbarten Länder, welche 2004 in die EU kommen, ebenso dazu ein, gemeinsam einen MEKT auszurichten, wie die Episkopate Kroatiens und Bosnien-Hercegovinas, für deren Länder vorerst lediglich eine mittel- bis längerfristige Beitrittsperspektive besteht. Der MEKT umfaßt damit einen Raum Europas, in dem knapp 83 Millionen Menschen leben; ungefähr 60 Millionen sind Katholiken in insgesamt 107 Diözesen.

Der Katholikentag solle die Christen "zur Einmischung" ermutigen, damit sie Gesellschaft, Politik und Wirtschaft aus christlicher Verantwortung mitgestalteten, bekundeten die Kardinäle König und Schönborn in der Wochenzeitung "Furche". Die Auseinandersetzung mit den sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen müsse - besonders in den Ländern Mitteleuropas - vornehmlich von den Laien getragen werden. Die Kirche sei "überall dort, wo Laien aus ihrer Verantwortung und Kompetenz als Getaufte die Welt mitgestalten und sündige Strukturen überwinden und auch die europäische Zukunft zu gestalten versuchen". Die ehedem kommunistisch regierten Nachbarländer erlebten "einen unglaublich schnellen und von vielen Kräften beeinflußten Wandel". Schönborn befand, man müsse "die im Kommunismus sehr starken sozialen Parameter in eine neue Form überführen", wenn der "Traum vom alten Kommunismus" nicht wiederkehren solle. Für den Wiener Erzbischof und seinen Vorvorgänger liegt es am Engagement der Laien, ob die gesellschaftspolitischen Fragen Antworten finden. Die Bischöfe seien keine Wirtschaftsfachleute. Mit Sozial-Hirtenbriefen könne man weder der polnischen Landwirtschaft aus ihren Transformationsproblemen heraushelfen noch die Umstellungsschwierigkeiten der tschechischen Industrie befördern. Es gehe vielmehr darum, ob "genügend gut im Glauben und in ihren Fachgebieten ausgebildete" Laien dort "aus christlicher Verantwortung" handelten. Daher sei es eines der Kirchentagsziele, "am Bauplatz Europa verantwortlich mitzugestalten". Auch 14 Jahre nach der politischen Wende in Osteuropa bleibe es notwendig, die Begegnung der Völker Mitteleuropas zu fördern, hoben die beiden Kardinäle hervor. Der MEKT mit seinen zahlreichen nationalen und internationalen Veranstaltungen wolle solche "Orte der Begegnung" schaffen. In den Wallfahrten sollten zuallerst die "geistlichen Quellen Europas" erfahren werden, "die tiefen Quellen, aus denen der christliche Glaube lebt". Europa sei nicht allein entlang seiner Wirtschaftsstraßen, sondern auch entlang seiner Wallfahrtswege gewachsen. Einmütig hätten daher die Bischofskonferenzen Bosnien-Hercegovinas, Kroatiens, Österreichs, Polens, der Slowakei, Sloweniens, der Tschechischen Republik und Ungarns "Mariazell, diesen großen geistigen Quellort Mitteleuropas, als Ort des gemeinsamen Höhe- und Schlußpunktes gewählt".

Der Mitteleuropäische Katholikentag (www.katholikentag.at) läßt sich damit zum "längsten Tag der Kirchengeschichte" an; überhaupt lebt er über zwölf Monate aus übernationalen Begegnungen, Symposien und Wallfahrten. So wird beispielsweise im September in Budapest über "Christliche Werte in der EU" debattiert; in Preßburg (Bratislava) diskutiert man im Oktober über "Lebensethik"; in Celje (Cilli) soll im November über "Religionsunterricht - Weitergabe des Glaubens" gesprochen werden, ein Symposion über Martyrium und Glaubenszeugnis steht in Sarajevo unter dem Leitwort "Die Geschichte verpflichtet zur Verantwortung". Länder sowie Grenzen überschreitende Wallfahrten nach Velehrad, Königgrätz, Nitra, Levoca, Lutina, Brezje, Marburg/Drau (Maribor), St. Georgen, Wien, Tschenstochau, Lagiewniki, Gnesen, Zagreb und Budapest - und eben Mariazell - wird es geben.

Ökumene und das vom Zweiten Vatikanum geprägte Kirchenverständnis, das die "Abkehr von Kleriker-Dominanz" vorsieht, sind in den Ortskirchen besagter Nachbarländer Österreichs noch nicht Allgemeingut geworden. Daher suchen die österreichischen Bischöfe ihre dortigen Amtsbrüder, die während der kommunistischen Ära mitunter brutaler Verfolgung ausgesetzt waren, auch darin behutsam nach Europa zurückzuführen. Doch zugleich steht hinter dem MEKT umgekehrt auch die Absicht, den Katholiken Österreichs die beispielhafte Volksfrömmigkeit und den Bekennermut ihrer mitteleuropäischen Glaubensbrüder östlicher und südöstlicher Provenienz zur Nachahmung vor Augen zu führen. Im gemeinsamen Hirtenwort - auch das eine Novität - heißt es: "Wir wollen uns der christlichen Wurzeln unseres Kontinents erinnern . . . Denn vom christlichen Erbe lebt Europa heute nach wie vor. Die westliche Kultur mit all ihren Errungenschaften ist im Grunde aus dem Evangelium gewachsen." Derlei kommt nicht von ungefähr, sondern erhält Gewicht angesichts der Erörterungen über den Gottesbezug in einer künftigen EU-Verfassung.

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Botschaft Papst Johannes Pauls II.
an die Pilger in Mariazell
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"Mariazell geht weiter"
Kardinal Schönborn im Gespräch
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Schlussbotschaft
von der "Wallfahrt der Völker"
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