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Schönborn: Für ein "versöhntes Europa der Vielfalt"

Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz fordert bei der "Wallfahrt der Völker" zur Überwindung der alten Vorurteile, des Misstrauens und der Schuldzuweisungen auf - Aufruf zum Einsatz für den Schutz des Lebens, für Solidarität und für den arbeitsfreien Sonntag (Kathpress, 22.5.04)

Für ein versöhntes Europa der Vielfalt ohne Vorurteile, Misstrauen und Schuldzuweisungen hat der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, am Samstag beim Festgottesdienst zur "Wallfahrt der Völker" in Mariazell plädiert. In seiner Predigt forderte der Kardinal ein Bekenntnis zu den christlichen Fundamenten Europas und den Einsatz für den Schutz des Lebens, für die Solidarität und für den arbeitsfreien Sonntag.

Wie Kardinal Schönborn sagte, seien niemals zuvor so viele Pilger gleichzeitig zur Gnadenmutter von Mariazell gezogen. Sie hätten sich zum Gebet um den Frieden für Europa versammelt, das unter "solch furchtbaren, schrecklichen Schmerzen getrennt wurde - und unter so vielen Hoffnungen, aber auch Zweifeln und Ängsten allmählich zusammenwächst".

Auch 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seien noch manche Mauern bestehen geblieben. Es gebe Reste alter Vorurteile, Misstrauen und Schuldzuweisungen - und eine Neigung, "auf andere herab zu schauen oder voreinander Angst zu haben". Der Kardinal rief zum Gebet um die "Kraft von oben" auf, um diese Mauern zu überspringen, um einander endlich "auf gleicher Augenhöhe" zu begegnen und um in jedem Menschen - gleich welcher Sprache, Kultur und Religion - ein "Ebenbild Gottes" zu sehen. Angesichts verbreiteter Ängste, das neue vereinte Europa könnte zu einem Verlust der Vielfalt in Kultur und Tradition führen, betonte Kardinal Schönborn, dass die Christen für eine Einheit beten, "in der die Vielfalt nicht trennt, sondern bereichert".

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz gedachte in besonderer Weise der christlichen Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Viele, die heute in Freiheit leben und an dieser "Wallfahrt der Völker" teilnehmen, wüssten aus eigenem Erleben und aus dem Schicksal ihrer Familien, "welch furchtbares Leid die antichristlichen und gottlosen Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus über unsere Länder gebracht haben", so Schönborn. Der Kardinal rief dazu auf, jener zu gedenken, die für ihren Glauben und für den Dienst am Nächsten in Lagern und Gefängnissen gestorben seien: Ihnen und allen, die in schwerer Zeit Christus in ihren Herzen heilig gehalten hätten, gelte "unser Dank und unsere Bewunderung". Schönborn wörtlich: "Wir leben aus der Hoffnung, dass alle diese Opfer in die Erde gefallen sind, um in diesem blutgetränkten Europa neue Früchte zu tragen und die alten christlichen Wurzeln wieder zum Blühen zu bringen".

Der Kardinal rief zum Bekenntnis zu den christlichen Fundamenten Europas auf. Diese Fundamente seien notwendig, um die europäische Einigung mit zu tragen. Jahrzehnte der Gottlosigkeit hätten freilich - im Osten und im Westen - tiefe Spuren in den Völkern Europas hinterlassen. Umso wichtiger sei es, auf die Stimmen jener zu hören, die den Christen - oft von außen - die Unersetzlichkeit ihres laubens und ihres Dienstes auf dem großen Bauplatz Europa vor Augen führen. Schönborn verwies auf den amerikanischen Gelehrten und gläubigen Juden Joseph Weiler, der vor wenigen Tagen mit einem flammenden Appell hatte aufhorchen lassen, indem er das Christentum als "Lebensquell dieses Kontinents und als Motor der europäischen Einigung" bezeichnete. Ebenso zitierte er den muslimisch geprägten bosnischen Dichter Dzevad Karahasan, der beim Auftakt des Katholikentags vor einem Jahr erklärt hatte: "Europa auf das Christentum zu reduzieren, das wäre sehr schade. Aber auf dasChristentum zu vergessen, das wäre eine Katastrophe".

In seiner Predigt erinnerte der Kardinal an große Heilige Europas, wie Benedikt und Franziskus, die große und die kleine Therese, König Stephan und Johannes Nepomuk, Kyrill und Method, Edith Stein und
Pater Maximilian Kolbe, Johannes XXIII. und den jungen Ivan Merz. Sie und viele andere Christen hätten "an diesem Haus Europa mitgebaut" und geholfen, diesen Kontinent zu einem "Ort der Menschlichkeit und Schönheit, der Solidarität und der Herzlichkeit" zu machen. Diese Heiligen verkörperten die Hoffnung Europas auf ein liebevolles Miteinander. Auch heute gebe es "verborgene Heilige": nämlich die Helden der Menschlichkeit und der Barmherzigkeit, die Friedensstifter und die Kämpfer für Gerechtigkeit und Solidarität. Auch sie seien Träger der Hoffnung für Europa. Es gebe kein Land und kein Volk in Europa, das sie nicht brauche.

In diesem Zusammenhang rief Schönborn besonders zum Schutz des menschlichen Lebens auf - von seinem Anfang bis zuletzt. Christ sein bedeute, sich der Ungeborenen anzunehmen und die werdenden Mütter in Not "nicht im Stich zu lassen". Es bedeute aber auch, die Sterbenden zu begleiten. Diese sollten "an der Hand und nicht durch die Hand eines Menschen sterben", zitierte Schönborn den verstorbenen Wiener Alterzbischof Kardinal Franz König.

Schönborn rief in seiner Predigt auch zum Einsatz für Gerechtigkeit und Solidarität auf. Christ sein bedeute, aktiv für jene einzutreten, die "dem stürmischen Wandel nicht standhalten können". Dazu gehörten Jugendliche, die keine Ausbildungschancen sehen, Frauen und Männer, die ihre Arbeit verloren haben oder um ihren Arbeitsplatz fürchten, sowie die Alten, die "an den Rand gedrängt" werden.

Europa brauche aber auch "Zeiten und Räume für das Heilige". Kardinal Schönborn wörtlich: "Kämpfen wir also darum, dass der Sonntag als Tag der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen erhalten bleibt. Und ich bitte Euch: Sucht nach Möglichkeiten, Eure Kirchen offen zu halten. Die Menschen hungern nach der Begegnung mit Gott."

Kapellari: "Ein geistliches Europa-Fest"

Am Beginn des Gottesdienstes hatte der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari als Bischof der Gastgeberdiözese die Repräsentanten der katholischen Kirche, Vertreter der Ökumene und der Politik sowie alle Pilger begrüßt. "Wir feiern ein geistliches Europa-Fest", betonte Kapellari. Der Gnadenort Mariazell sei "eine wahrhaft europäische Adresse", wo Pilger aus ganz Europa seit Jahrhunderten erlebten, dass der Himmel "offener ist als anderswo". Sie hätten sich immer wieder "versammelt unter dem Schutzmantel Marias, unserer lieben Frau von Mariazell, die ihnen im alten Gnadenbild das Christuskind gezeigt hat". Sie hätten sich und ihre Völker der Fürsprache Marias anvertraut, und viele hätten "wunderbare Hilfe" erfahren.

Auch der Zeitpunkt der Wallfahrt - so Kapellari - sei für Europa von großer Bedeutung: Die vor kurzen erfolgte EU-Erweiterung ermögliche ein verstärktes friedliches Miteinander vieler Menschen und Völker auf dem europäischen Kontinent inmitten der Menschheit. Die Christen seien "berufen, dieses Miteinander gerade heute und morgen zu stärken, damit einem neuen Europa die Schrecken und die Leiden des 20. Jahrhunderts erspart bleiben", hob der Bischof hervor.

Einen besonderen Gruß richtete Kapellari an die Vertreter der Medien, die es vielen Menschen in Europa ermöglichten, mit der Wallfahrt in Mariazell verbunden zu sein. Der Bischof dankte den vielen Helfern,
die diese Wallfahrt vorbereitet haben. Einen Gruß richtete Kapellari auch an "alle Kranken, Stillen und Betenden", die durch Rundfunk und Fernsehen mit den Feierenden in Mariazell verbunden seien.

Papst: Christliche Werte beste Basis für Europa Der Kardinal-Legat für die "Wallfahrt der Völker", Angelo Sodano, überbrachte zu Beginn des Gottesdienstes die Grüße Papst Johannes Pauls II. Er sei gekommen, um mit den Pilgern "die Freude dieses schönen Tages zu teilen". Die Völker der Teilnehmerländer des Mitteleuropäischen Katholikentages seien "tief im Glauben an Christus, unsere Hoffnung" verwurzelt, hob Sodano hervor. Auch wenn der Papst nicht persönlich anwesend sei, sei er geistig zugegen. "Er betet mit uns für Europa und die Welt", leitete Sodano zu einer auf der Großleinwand eingespielten Videobotschaft Johannes Pauls II. über.

In dieser Botschaft strich der Papst die gesamteuropäische Bedeutung der "Wallfahrt der Völker" hervor. Wörtlich sagte Johannes Paul II.: "Sehr herzlich grüße ich die vielen Pilger, die sich in einer großen 'Wallfahrt der Völker' in Mariazell zum Gebet für Europa vereinen: Pilger aus Bosnien-Hercegovina, Kroatien, Österreich, Polen, aus der Slowakei, aus Slowenien, Tschechien, Ungarn und aus anderen Ländern. Euch allen bin ich geistlich ganz nahe. Einen besonderen Gruß entbiete ich auch den Staatsoberhäuptern, Kardinälen, Bischöfen und Priestern, die an der festlichen Liturgie in Mariazell teilnehmen. Mit Euch und für Euch bete ich um eine gesegnete Zeit, in der alle Menschen in Frieden und Wohlergehen zusammenleben können. Die Werte, die unser heiliger christlicher Glaube vorgibt, sind dafür die beste Basis."

 

   

Seele Europas
war in Mariazell präsent
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Signal für Präsenz der Christen
im zusammenwachsenden Europa
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Europäische Identität
Debatte muss weiter gehen
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Schlussbotschaft
von der "Wallfahrt der Völker"
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